§ 17 Abs. 1 StromGVV:
Einwände gegen Rechnungen und Abschlagszahlungen berechtigten zum Zahlungsaufschub oder zur Zahlungsverweigerung nur, wenn
1. die ernsthafte Möglichkeit eines offensichtlichen Fehlers besteht oder
2. sofern
a) der in einer Rechnung angegebene Verbrauch ohne ersichtlichen Grund mehr als doppelt so hoch wie der vergleichbare Verbrauch im vorherigen Abrechnungszeitraum ist und
b) der Kunde einen Nachprüfung der Messeinrichtung verlangt und solange durch die Nachprüfung nicht die ordnungsgemäße Funktion des Messgeräts festgestellt ist.
Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 14.02.2012 Az: 7 O 219/11
ein Beitrag von Rechtsanwalt Konstantinos Paliakoudis – Stuttgart
Landgericht Stuttgart
70182 Stuttgart
Az.: 7 0 219/11
Verkündet am 14.02.2012
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In Sachen
Energieversorger
– Klägerin –
gegen
Beklagte M. ,
– Beklagte –
wegen Forderung
hat das Landgericht Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 20.01.2012 durch den Richter am Landgericht S. als Einzelrichter für Recht erkannt:
- Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 9.666,73 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 01.04.2011, sowie vorgerichtliche Kosten in Höhe von 189, 80 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 24.11.2011 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
- Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Gebührenstreitwert: 9.931,53 €.
Tatbestand
Die Klägerin ist ein Energieversorgungsunternehmen. Die Beklagte bezog von der Klägerin elektrische Energie. Die Klägerin verlangt die Bezahlung von Stromlieferungen für die Abnahmestelle N Straße, A., für die Zeit vom 25.04.2010 bis 31.01.2011 in Höhe von 9.666,73 € zuzüglich Nebenkosten.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass zwischen ihnen ein Stromversorgungsvertrag auf der Grundlage der Stromgrundversorgungsverordnung (im Folgenden: StromGVV) zustande gekommen ist. Zuletzt am 01.03.2011 teilte die Beklagte der Klägerin den selbst abgelesenen Zählerstand wie folgt mit: 28.9134,7 kWH HT und 13.7002,9 kWH NT. Auf dieser Basis erstellte die Klägerin am 15.03.2011 (K 1 = 15 ff.) die Stromrechnung für den Zeitraum 25.04.2010 bis zum 31.01.2011. Nach den der Rechnung beigefügten Detailinformationen lag dem für den genannten Zeitraum ein Verbrauch von 49.161 kWH zugrunde, während der Vorjahresverbrauch für den Zeitraum vom 25.04.2009 bis zum 25.04.2010 3 507 kWH betrug. Unstreitig ist die hier streitige Abnahmestelle am 01.02.2011 vom Landratsamt E. übernommen worden, welches das Haus mietete und seither den Strom direkt vom Energieversorger bezieht.
Die Parteien streiten im Prinzip um die Frage, ob es möglich bzw. plausibel ist, dass an der Annahmestelle der Beklagten für den genannten Zeitraum tatsächlich Strom in der genannten erheblichen Größenordnung verbraucht worden ist. Die Klägerin steht auf dem Standpunkt, dass ihre Rechnung gemäß § 17 StromGVV fällig und durchsetzbar ist und die Beklagte mit Einwendungen im vorliegenden Rechtsstreit nicht gehört werden kann.
Die Klägerin stellt den Antrag:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 9.931,53 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 9.666,73 € seit 31.03.2011 und aus weiteren 264,80 € seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt
Klagabweisung.
Die Beklagte macht im Wesentlichen geltend:
Es sei unmöglich, dass in der Zeit vom 25.04.2010 bis zum 31.01.2011 in der Abnahmestelle in der N. Straße eine Strommenge von 49.161 kWH bzw. im Gegenwert von 10.168,73 € verbraucht worden sei. Hierbei müsse es sich um einen Irrtum handeln, der auf einem defekten Zähler beruhe. Im Zeitraum vom 25.04.2009 bis zum 24.04.2010 habe das Haus leer gestanden. Durch Elektroheizungen sollte Schaden am Haus vermieden werden. Im Zeitraum 25.04.2010 bis 31.01.2011 hätten auf Einladung des Sohnes der Beklagten zwei Personen aus B. unentgeltlich im Haus übernachtet. Von Mitte September bis Anfang Dezember 2010 seien es drei bis vier Personen gewesen. Tagsüber sei das Haus nicht bewohnt und auch nicht beheizt worden.
Die Beklagte vertritt weiter die Meinung, dass die der Forderung zugrunde liegende Stromrechnung nicht ordnungsgemäß sei, weil die für die Forderung maßgeblichen Berechnungsfaktoren nicht vollständig und in allgemeiner Form ausgewiesen seien. Mit ihren Einwendungen gegen die Stromrechnung sei die Beklagte auch nicht ausgeschlossen, weil sie zumindest konkludent mit dem Schreiben vom 14.04.2011 (B 2 = 27) eine Nachprüfung des Zählers verlangt habe.
Die Klägerin erwidert hierauf:
Ihre Stromrechnung sei ordnungsgemäß. Die Beklagte sei nach den gesetzlichen Vorschriften mit ihren Einwendungen ausgeschlossen. Auf das Schreiben vom 14.04.2011 habe die Klägerin reagiert. Wegen des Einwendungsausschlusses könne die Klägerin mit ihren Einwendungen im vorliegenden Verfahren nicht gehört werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist weit überwiegend begründet.
1. Die Klägerin kann gemäß dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Stromlieferungsvertrag (vgl. § 2 GVV), wobei der Abschluss dieses Vertrags zwischen den Parteien nicht streitig ist, das mit Rechnung vom 15. März 2011 in Rechnung gestellte Stromentgelt in Höhe von 9.666,73 € von der Beklagten verlangen. Dieser Betrag ist – zumindest rechnerisch – zwischen den Parteien nicht streitig.
a) Entgegen der Auffassung der Beklagten bestehen keine Bedenken an der Ordnungsmäßigkeit der Stromrechnung vom 15.03.2011 (K 1 = 15 ff.).
Gemäß § 16 StromGVV müssen Vordrucke für Rechnungen und Abschläge einfach und verständlich sein. Die für die Forderung maßgeblichen Berechnungsfaktoren sind vollständig und in allgemein verständlicher Form auszuweisen. Dem werden die Stromrechnung vom 15.03.2011 und die dazu gegebenen Detailinformationen (vgl. Blatt 16) gerecht. Die Rechnung gibt für die maßgebliche Zählernummer die nach Darstellung der Klägerin verbrauchte Strommenge in einzelnen Zeitabschnitten sehr detailliert an und errechnet den Verbrauch durch eine schlichte Differenzrechnung. Auf diese Weise finden sich in der Verbrauchsspalte rechts die Zwischensumme 33642 kWH und 15519 kWH. Wenn man diese Zahlen addiert, ergibt sich der oben in die Rechnung eingeflossene Verbrauch für den Zeitraum vom 25.04.2010 bis zum 31.01.2011 (282 Tage) von 49.161 kWH. Ab etwa der Mitte der Detailinformation wird für die einzelnen Zeiträume unter Zugrundelegung der jeweils maßgeblichen Strompreise genau errechnete, wie sich letztlich der Rechnungsbetrag zusammensetzt. Was hier nicht allgemein verständlich oder transparent sein soll, bleibt das Geheimnis der Beklagten. Im Übrigen gibt die Rechnung, wobei dahingestellt sein kann, ob dies zur Erreichung des Transparenzziels erforderlich ist, durch Beifügung von Kleinziffern an, welche Werte geschätzt und welche auf Ablesungen der Parteien beruhen. Beispielsweise befindet sich hinter dem Endzählerstand des Haupttarifs von 28.9134,70 kWH eine kleine Eins. Nach den Erläuterungen, die der Rechnung beigegeben sind, bedeutet das, dass der Wert von der Beklagten abgelesen worden ist. Dies deckt sich mit dem bei den Akten befindlichen Schreiben der Beklagten vom 01.03.2011 (BI. 48 Rückseite), aus der sich die Zählerendstände bei Übergabe des Objekts an das Landratsamt Esslingen ergeben.
b) Die Stromrechnung der Klägerin ist auch fällig. Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 StromGVV werden Rechnungen und Abschläge zu dem vom Grundversorger angegebenen Zeitpunkt, frühestens jedoch zwei Wochen nach Zugang der Zahlungssaufforderung, fällig. Da die Rechnung vom 15.03.2011 datiert, geht das Gericht davon aus, dass diese der Beklagten spätestens am 17.03.2011 zugegangen ist. Fälligkeit tritt somit nach Ablauf eines 2-Wochen-Zeitraums ein, also nach Ablauf des 31.03.2011, mithin am 01.04.2011.
c) Die Beklagte ist mit ihren Einwendungen gegen die vorliegende Stromrechnung ausgeschlossen. Letztlich laufen die Einwendungen der Beklagten darauf hinaus, dass die abgerechnete Strommenge für die Abnahmestelle nicht plausibel sei und auf einem Defekt der Messeinrichtungen beruhen würde. Damit kann die Beklagte im vorliegenden Verfahren jedoch nicht gehört werden. Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 StromGVV berechtigten Einwände gegen Rechnungen und Abschlagszahlungen zum Zahlungsaufschub oder zur Zahlungsverweigerung nur, wenn
1. die ernsthafte Möglichkeit eines offensichtlichen Fehlers besteht oder
2. sofern
a) der in einer Rechnung angegebene Verbrauch ohne ersichtlichen Grund mehr als doppelt so hoch wie der vergleichbare Verbrauch im vorherigen Abrechnungszeitraum ist und
b) der Kunde einen Nachprüfung der Messeinrichtung verlangt und solange durch die Nachprüfung nicht die ordnungsgemäße Funktion des Messgeräts festgestellt ist.
Sinn und Zweck dieses Einwendungsausschlusses ist, dem Energieversorgungsträger als Ausgleich für die Risiken, die dem Versorgungsunternehmen aus dem Kontrahierungszwang nach § 36 EnWG 2005 bzw. § 826 BGB erwachsen, ein schnelles und zügiges Inkasso zu ermöglichen. Die Energieversorgungsträger müssen den jederzeitigen und unbeschränkten Zugriff aller Kunden auf die zur Verfügung gestellte Energie bzw. das Wasser gewährleisten, dabei haben sie auch solcher Endverbraucher zu beliefern, mit denen andere Unternehmen – insbesondere mangels Kreditwürdigkeit – keine Verträge schließen würden. Die Versorgungsunternehmen treten dabei – von Abschlägen abgesehen – in Vorleistung. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, sind die Versorgungsunternehmen auf eine reibungslose Erfüllung einer Vielzahl von relativ kleinen Forderungen angewiesen (vgl. Steenbuck, MDR 2010, 357). Um diese Ziele zu erreichen, soll nach der gesetzlichen Konzeption der §§ 17 ff. StromGVV das Energieversorgungsunternehmen sein Inkasso relativ leicht durchsetzen können und der Kunde substantiierte Einwendungen dagegen im so genannten Regressprozess geltend machen können (vgl. Steenbuck, Seite 358). Ob zur Durchführung des Regressverfahrens auch eine Widerklage zulässig ist, kann dahingestellt bleiben, weil die Beklagte eine solche nicht erhoben hat.
Die Voraussetzungen eines berechtigten Einwands nach § 17 Abs. 1 Satz 2
StromGVV liegen nicht vor. § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StromGVV ist nicht einschlägig, weil ein Fall dieser Vorschrift nur angenommen werden kann, wenn der Fehler derart offensichtlich ist, dass er (ins Auge fällt) und der Rechnung gleichsam auf die Stirn geschrieben ist (vgl. Steenbuck, a. a. 0., Seite 358; vgl. auch BGH MDR 1990, 538; OLG Hamm, NJW-RR 1991, 1209).
Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt auch kein Fall des § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StromGVV vor. Allerdings ist es evident, was die Klägerin nicht zur Kenntnis nehmen will, dass die in § 17 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Nr. 2 a) StromGVV umschriebene Voraussetzung im vorliegenden Fall gegeben ist. Der Stromverbrauch ist im Abrechnungszeitraum ohne ersichtlichen Grund mehr als doppelt so hoch wie der vergleichbare Verbrauch im vorliegenden Abrechnungszeitraum. Um dies festzustellen, genügt ein Blick auf die Detailinformation der Rechnung vom 15.03.2011. Für den Abrechnungszeitraum von 282 Tagen stellt die Klägerin eine Abrechnungsmenge von 49.161 kWH in Rechnung, für den Vorjahresverbrauch, nämlich ein ganzes Jahr von 365 Tagen, weist sie auf einen Verbrauch von lediglich 3.507 kWH hin. Dass bei dieser Sachlage der Verbrauch für die Beklagte nur mit Mühe nachvollziehbar ist, ist für das Gericht ohne weiteres verständlich. Jedoch fehlt es an der Tatbestandsvoraussetzung des § 17 Satz 1 Satz 2 Nr. 2 b), wonach der Kunde eine Nachprüfung der Messeinrichtung verlangen muss. Tut der Kunden dies, so soll das Stromunternehmen seine Stromforderung so lange nicht durchsetzen können, bis eine Nachprüfung die ordnungsgemäße Funktion des Messgeräts feststellen kann.
Entgegen der Meinung der Beklagten hat diese jedoch zu keiner Zeit, noch nicht einmal im vorliegenden Rechtsstreit, eine Nachprüfung der Messeinrichtung in eindeutiger Weise verlangt.
Nach § 8 Abs. 2 StromGVV ist der Grundversorger verpflichtet, auf Verlangen des Kunden jederzeit eine Nachprüfung der Messeinrichtung durch eine Eichbehörde oder eine staatlich anerkannte Prüfstelle im Sinne von § 2 Abs. 4 des Eichgesetzes beim Messstellenbetreibern zu veranlassen. Stellt der Kunde den Antrag auf Prüfung nicht bei dem Grundversorger, so hat er diesen sogleich mit der Antragstellung zu benachrichtigen.
Die Beklagte nimmt mit dem genannten Schreiben Bezug auf die im vorliegenden Rechtsstreit streitige Stromrechnung. Dieser Stromrechnung widerspricht sie. Sie führt weiter aus, dass es sich bei den Zählerständen um einen Irrtum handeln muss. Abschließend findet sich die Formulierung: „Ich bitte nochmals um Überprüfung der Daten und Stellungnahme ihrerseits“.
Auch wenn berücksichtigt wird, dass es sich bei der Beklagten um eine natürliche Person handelt, bei der Geschäftsgewandtheit und -erfahrung nicht vorausgesetzt werden kann, kann diesem Schreiben nicht mit hinreichender Deutlichkeit ein Verlangen auf Nachprüfung der Messeinrichtung entnommen werden. Für diese Frage ist maßgeblich auf den Empfängerhorizont, also das Verständnis der Klägerin, abzustellen. Zu berücksichtigen ist weiter, dass die maßgeblichen Daten der Rechnung vom 15.03.2011, insbesondere die Endverbrauchsangaben, auf einer Ablesung durch die Beklagte beruht. Wenn die Beklagte sodann eine Überprüfung der Daten und Stellungnahme anmahnt, so spricht dies zunächst nur dafür, dass sie eine rechnerische Überprüfung der Rechnung und der in diese eingeflossenen Daten verlangt. Dies bedeutet in erster Linie einen Abgleich der Verbrauchsstände mit den bei der Klägerin vorhandenen Daten. Da zugleich um Stellungnahme der Klägerin gebeten wird, wird erkennbar, dass eben darüber hinaus keine weiteren Maßnahmen von der Klägerin verlangt werden.
Jedenfalls ist nach Auffassung des Gerichts für die Klägerin beim vorliegenden Schriftverkehr (vgl. auch das Schreiben der Beklagten vom 10.08.2011, B 3 = 29) für die Klägerin nicht hinreichend erkennbar, dass die Beklagte eine Überprüfung der Messeinrichtung verlangt.
Ob die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit eine Überprüfung der Messeinrichtung verlangt hat, kann dahingestellt bleiben, weil es nach Auffassung des Gerichts Sinn und Zweck des § 17 Abs. 1 Satz 2 StromGVV widersprechen würde, den vorgerichtlichen Einwendungsausschluss dadurch zu ersetzen, dass die Beklagte dieses Nachprüfungsverlangen gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 b) StromGVV quasi im Prozess nachholt. Denn für diesen Fall wurde der Einwendungsbeschluss ad absurdum geführt.
Mithin wird der Beklagten nichts anderes übrigbleiben, als den so genannten Regressprozess zu beschreiten, sofern sie die von ihr für nicht plausibel gehaltene Abrechnungsmenge einer Überprüfung zuführen will.
2. Die Nebenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1, 709 Satz 1 und 2 ZPO.
Gez.
Richter
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