Einstellung bzw. Unterbrechung der Energieversorgung / Zutritt / einstweilige Verfügung / Streitwert- LG Tübingen 1 T 47/09

§ 19 StromGVV: Einstellung bzw. Unterbrechung der Energieversorgung / Zutritt / einstweilige Verfügung / Streitwert

  • Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Unterbrechung der Energieversorgung (Zutritt) wegen Zahlungsrückständen stellt keine Vorwegnahme der Hauptsache dar; ein Verfügungsgrund ist in diesen Fällen gegeben (Landgericht Braunschweig, Beschluss vom 26.5.2003, 8 T 476/03, m.w.N.). Der Antragstellerin ist es nicht zuzumuten, einen Zahlungsrückstand des Kunden weiter anschwellen zu lassen, da es zu erwarten ist, dass dieser nicht beigetrieben werden kann. Die Geltendmachung der Ansprüche im Rahmen eines Klageverfahrens kann der Antragstellerin nicht zugemutet werden, da es durchaus in Betracht kommt, dass ein Klageverfahren mehrere Monate andauern kann und der diesbezügliche Zahlungsrückstand dann voraussichtlich nicht beitreibbar sein wird.
  • Der Streitwert bzw. Beschwerdewert ist gem. § 3 ZPO nach dem Interesse der Antragstellerin an dem Erlass der einstweiligen Verfügung zu bemessen. Es wird vertreten, dass die Abschlagszahlungen für 12 Monate (OLG Köln, ZMR 2006, Seite 208) anzusetzen sind.

ein Beitrag von Rechtsanwalt Konstantinos Paliakoudis – Stuttgart

Der nachfolgende Beschluss wurde im Rahmen einer Beschwerde vom Landgericht Tübingen erlassen.

Die vom Landgericht Tübingen angewandten Vorschriften der StromGVV können aufgrund ihrer Gleichheit bzw. Ähnlichkeit zu den Vorschriften der GasGVV und AVBWasserV entsprechend angewandt werden.

Landgericht Tübingen

1. Zivilkammer

Geschäftsnummer:

1 T 47/09

2 C 120/09 Amtsgericht Münsingen

Beschluss

In Sachen

Energieversorgungsunternehmen

– Antragstellerin/ Beschwerdeführerin –

gegen

S. L.

– Antragsgegnerin/ Beschwerdegegnerin –

wegen einstweiliger Verfügung

hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Tübingen durch Richter am Landgericht A. als Einzelrichter beschlossen:

I. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Münsingen vom 18.06.2009 – 2 C 120/09 – wie folgt abgeändert:

  1. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben, den mit einem Ausweis versehenen Beauftragten der Antragstellerin Zutritt zu dem Haus bzw. der Wohnung Musterstrasse 100 in Musterstadt, zu gestatten und die Einstellung der Energieversorgung durch Sperrung des Stromzählers mit der Nummer 55555 zu dulden.
  2. Für den Fall der Verweigerung des Zutritts und des Widerstandes gegen die Liefersperre wird die zwangsweise Öffnung des Hauses bzw. der Wohnung Musterstrasse 100 in Musterstadt, durch den zuständigen Gerichtsvollzieher sowie die Einstellung der Energieversorgung in Gegenwart und unter Aufsicht des
  3. zuständigen Gerichtsvollziehers im Wege der einstweiligen Verfügung angeordnet.
  4. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
  5. Der Streitwert wird auf bis 900 € festgesetzt.

II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Beschwerdewert: bis 900 €

Gründe:

I.

Nach dem Vortrag der Antragstellerin bezieht die Antragsgegnerin von der Antragstellerin Strom für ihre Abnahmestelle im Gebäude Musterstadt, Musterstrasse 100. Die Antragsgegnerin schuldet der Antragstellerin Stromabschlagsforderungen vom 15. Januar 2009 bis 15. Juni 2009 in Höhe von 560,84 €. Hinzukommen Inkassokosten in Höhe von 36 € und Mahnkosten in Höhe von 8 €. Die Antragstellerin forderte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 25.2.2009 auf, die bestehenden Zahlungsrückstände umgehen zu bezahlen und drohte für den Fall der Nichtbezahlung die Einstellung der Stromlieferung an. Die Antragstellerin wollte die Stromlieferung am 2.4.2009 und am 8.4.2009 einstellen. Die Antragsgegnerin ermöglichte jedoch keinen Zutritt zu dem Zähler, so dass die Sperrung nicht durchgeführt werden konnte. Mit Schreiben vorn 6. Mai 2009 wurde der Antragsgegnerin u. a. mitgeteilt, das am 2.4.2009 und am 8.4.2009 die Antragstellerin keine Zutritt gehabt hatte. Weiter wurde mitgeteilt, dass die Zahlungszusage der Antragsgegnerin vom 22.4.2009 nicht eingehalten wurde. Der Antragsgegnerin wurde in diesem Schreiben zum letzten Mal die die Gelegenheit gegeben, die Forderungen in Höhe von 400,84 € spätestens bis 13. Mai 2009 zu überweisen. Bei Nichtzahlung wurde ihr angedroht, gerichtlich eine Zutrittserlaubnis einzuholen.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 18.6.2009 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Antrag unzulässig sei, da eine Vorwegnahme der Hauptsache vorliegen würde.

Der Streitwert wurde auf 150 € festgesetzt.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.

Ein Verfügungsanspruch ist gegeben, da die Antragstellerin die Voraussetzungen des § 19 StromGVV glaubhaft gemacht hat.

Ein Verfügungsgrund ist auch gegeben, da die Antragstellerin auch dessen Voraussetzungen glaubhaft gemacht hat.

Es ist schon streitig, ob eine Vorwegnahme der Hauptsache vorliegt (siehe OLG Koblenz, RdE 2005, S. 83). Aber auch wenn man von einer Vorwegnahme der Hauptsache ausgeht, ist der Antrag zulässig und ein Verfügungsgrund gegeben (Landgericht Braunschweig, Beschluss vom 26.5.2003, 8 T 476/03, m.w.N.). Der Antragstellerin ist nicht zuzumuten, den Zahlungsrückstand weiter anschwellen zu lassen, da es zu erwarten ist, dass dieser nicht beigetrieben werden kann. Die Geltendmachung der Ansprüche im Rahmen eines Klageverfahrens kann der Antragstellerin bei dieser Konstellation nicht zugemutet werden, da es durchaus in Betracht kommt, dass ein Klageverfahren mehrere Monate andauern kann und der diesbezügliche Zahlungsrückstand dann voraussichtlich nicht beitreibbar sein wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Der Streitwert und der Beschwerdewert sind auf bis 900 € festzusetzen.

Der Beschwerdewert ist gem. § 3 ZPO nach dem Interesse der Antragstellerin an dem Erlass der einstweiligen Verfügung zu bemessen. Es wird u. a. vertreten, dass die Abschlagszahlungen für 4 Monate (OLG Koblenz, aaO), für 6 Monate (Landgericht Braunschweig, aaO) oder für 12 Monate (OLG Köln, ZMR 2006, Seite 208) anzusetzen sind. Das Gericht ist der Meinung, dass mindestens 6 Monate anzusetzen sind, so dass hier ein Betrag von über 600 € gegeben ist (102 € x 6 Monate), Das führt dazu, dass die sofortige Beschwerde auf jeden Fall zulässig ist.

gez.

A.

Richter am Landgericht

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